Streit um Vorsorgeprinzip: Geheime Informationen zur neuen Gentechnik veröffentlicht

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Gemäß aktuellen Informationen plant die EU-Kommission scheinbar erhebliche Lockerungen im Bereich der neuen Gentechnik. Ein Verordnungsentwurf, der Mitte Juni an die Öffentlichkeit gelangte, hat heftige Kritik von Umwelt- und ökologischen Landbauverbänden hervorgerufen. Die Reaktionen auf diesen Entwurf reichen von äußerst besorgniserregend bis hin zu vollkommen inakzeptabel.

Neue Gentechnik: Verordnungsentwurf der EU-Kommission veröffentlicht

Um Transparenz sicherzustellen, hat das bäuerliche Bündnis für eine Agrarreform ARC2020 den Verordnungsentwurf sowie weitere Dokumente der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (SANTE) der EU-Kommission veröffentlicht. Diese Unterlagen behandeln die Deregulierung der Zulassung, Risikobewertung und Kennzeichnung einer umfangreichen Auswahl an neuen gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Der Entwurf wird zunächst intern von den Generaldirektionen überarbeitet und soll voraussichtlich am 5. Juli vom Kollegium der Kommission angenommen werden. Es sei angemerkt, dass der Vorschlag zur Deregulierung der Neuen Gentechnik zuvor an den Verordnungsvorschlag zur Pestizidreduktion (Sustainable Use Regulation, SUR) gekoppelt war, wie es von EU-Vizepräsident Frans Timmermans vorgeschlagen wurde.

Vertrauliche Informationen: Neue genomische Techniken (NGT) könnten unter Verschluss bleiben

Gemäß ARC2020 ist in dem vorliegenden Entwurf erstmals ein Konzept enthalten, das vier neue Definitionen für Neue genomische Techniken (NGT) auf Gesetzesebene einführt. Diese Techniken sollen als ebenbürtig zu konventionell gezüchteten Pflanzen angesehen werden. Das bedeutet, dass keine individuelle Risikobewertung mehr erforderlich wäre, sondern lediglich eine Anmeldung der Produzenten bei den entsprechenden nationalen Behörden. Diese Anmeldung könnte Informationen enthalten, die als vertraulich behandelt werden sollen, und es wäre nicht mehr nötig, das Produkt, beispielsweise gentechnisch veränderte Lebensmittel, als GVO öffentlich zu kennzeichnen. Lediglich das Saatgut müsste die Kennzeichnung „Neue Genomik-Technik Kategorie 1“ tragen und in einem öffentlichen Register aufgeführt sein.

Der Begriff NGT umfasst spezifische gentechnische Verfahren, die es ermöglichen, die DNA von Organismen präziser als ältere Methoden an vordefinierten Stellen des Genoms zu verändern. Ein bekanntes Beispiel für eine solche Technologie ist die Genschere CRISPR-Cas. Eine Pflanze der NGT-Kategorie 1 bezeichnet demnach eine genetisch veränderte Pflanze, die durch gezielte Mutagenese, Cisgenese, Transgenese oder eine Kombination dieser Verfahren gewonnen wurde.

Während der Entwicklung der NGT-Pflanze wurde strikt darauf geachtet, dass kein genetisches Material von außerhalb des Genpools der Züchterart eingefügt wurde. Alle genetischen Informationen, die für die Entwicklung dieser Pflanze verwendet wurden, stammen aus der bereits vorhandenen genetischen Vielfalt innerhalb der Art und verwandter Arten.

Die genaue Definition und mögliche Risiken von genetisch veränderten Organismen (GVO) der neuen Generationstechnologien (NGTs) sind laut ARC2020 bisher nicht klar definiert. Es gibt keine umfangreichen Erfahrungen oder ausreichende wissenschaftliche Belege dafür, dass diese Art von GVO nachweislich weniger Risiken oder potenzielle ökologische und gesundheitliche Gefahren birgt. Die vorgeschlagenen Kriterien zur Bestimmung der Gleichwertigkeit von NGTs im Vergleich zu konventionellen Pflanzen erlauben bis zu 20 verschiedene genetische Veränderungen pro Pflanze. Die einzige Ausnahme ist die Herbizidtoleranz, die nicht in die Kategorie 1 fällt.

Rückverfolgbarkeit und Haftungsansprüche: Weiterhin erforderlich

Olaf Bandt, der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), äußerte scharfe Kritik am aktuellen Entwurf der EU-Kommission. Seiner Meinung nach stellt dieser Entwurf eine katastrophale Entwicklung für die überwiegende Mehrheit der Verbraucher dar, die keine Gentechnik in ihrer Nahrung tolerieren möchten. Darüber hinaus sieht er in dem Entwurf eine Gefährdung des europäischen Vorsorgeprinzips und der europäischen Landwirtschaft, da die bisherige Möglichkeit, Produkte als „ohne Gentechnik“ zu kennzeichnen und unabhängiges, nicht patentiertes Saatgut zu verwenden, als Wettbewerbsvorteil für die europäischen Landwirte angesehen wurde.

Die Bundesregierung wurde von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) dazu aufgefordert, den „inakzeptablen Gesetzesvorschlag zu neuen Gentechniken“ abzulehnen. Annemarie Volling, Expertin der AbL für Gentechnik, warnte davor, dass die nahezu vollständige Deregulierung von neuen Gentechnik-Pflanzen katastrophale Folgen für die gentechnikfreie konventionelle und ökologische Landwirtschaft haben würde. Das Recht auf gentechnikfreie Erzeugung sowie das Vorsorgeprinzip der EU würden dadurch ausgehebelt.

Mangelnde Transparenz und Kontrolle bei Gentechnik-Pflanzen: Volling beklagte die intransparente und unkontrollierte Vorgehensweise der Gentechnik-Konzerne. Seiner Aussage zufolge hätten diese Unternehmen die Möglichkeit, ihre Gentechnik-Pflanzen ohne ausreichende Prüfung in den Markt einzuführen. Dadurch entstünde das Risiko einer Kontamination von Saatgut, landwirtschaftlichen Flächen und Futtertrögen. Die damit verbundenen Schäden müssten von den Landwirtschaftsbetrieben getragen werden, die nicht mehr in der Lage wären, ihre Ernten vor einer Verunreinigung mit Gentechnik zu schützen. Für Verbraucher würde die Wahlfreiheit stark eingeschränkt, da sie keine sicheren Optionen mehr hätten, die frei von gentechnischen Veränderungen sind.

Ungeachtet des vorhandenen Wissens und der klar belegten Fakten strebt die EU-Kommission an, den Schutz der Umwelt und die Möglichkeit, gentechnikfreie Lebensmittel zu wählen, zugunsten der vagen und nicht evidenzbasierten Versprechungen der Agrogentechnik-Lobby zu vernachlässigen. Bernd Rodekohr, Projektleiter der Aurelia Stiftung und Initiator des Projekts „Schützt die Biene vor Gentechnik“, betont die fatalen Folgen dieser Entscheidung für Landwirte, Bienen und die Biodiversität.

Bereits im Dezember 2022 übergaben verschiedene Verbände, darunter der Umweltdachverband DNR, dem Bundeslandwirtschafts- und Bundesumweltministerium eine Petition. Die Petition, die von über 420.000 Personen unterschrieben wurde, forderte eine eingehende Risikoprüfung und die Gewährleistung von Wahlfreiheit.

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